Tunesien: Unabhängigkeit der Justiz in Gefahr

Protest in der tunesischen Hauptstadt Tunis am 23. Juni 2022 gegen die willkürliche Entlassung von 57 Richter*innen und Staatsanwält*innen durch Präsident Kais Saied

Beitragsbild: Yassine Gaidi/Anadolu Agency via Getty Images

Aktion des Monats Oktober 2022

Am 1. Juni entließ Präsident Kais Saied willkürlich 57 Richter*innen und Staatsanwält*innen unter Angabe von vagen Begründungen wie Behinderung von Ermittlungen im Zusammenhang mit Terrorismus, finanzielle Korruption, “moralische Verdorbenheit”, “Ehebruch” und Teilnahme an “durch Alkohol angeheizten Partys”. Am 10. August ordnete das Verwaltungsgericht Tunis in einer Dringlichkeitsentscheidung die Wiedereinsetzung von 49 der 57 Richter*innen und Staatsanwält*innen an, ohne dass die Regierung der Entscheidung des Gerichts jedoch bisher nachgekommen wäre.

Der Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen, das Expertengremium, das für die endgültige Auslegung des für Tunesien verbindlichen Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte zuständig ist, hat in seiner Erläuterung der Verpflichtung des Staates, das Recht auf ein faires Verfahren zu gewährleisten (Allgemeine Bemerkung 32), auf Folgendes hingewiesen: “Richter können nur aus schwerwiegenden Gründen des Fehlverhaltens oder der Unfähigkeit entlassen werden, und zwar nach einem fairen Verfahren, das Objektivität und Unparteilichkeit gewährleistet und in der Verfassung oder im Gesetz festgelegt ist. Die Entlassung von Richtern durch die Exekutive, z. B. vor Ablauf der Amtszeit, für die sie ernannt worden sind, ohne Angabe von Gründen und ohne dass ein wirksamer Rechtsschutz gegen die Entlassung möglich ist, ist mit der Unabhängigkeit der Justiz unvereinbar.” Das Justizministerium muss unverzüglich alle willkürlich entlassenen Richter*innen und Staatsanwält*innen wieder einsetzen und die Entscheidung des Verwaltungsgerichts akzeptieren.

Weitere Infos und Online-Petition unter:
https://www.amnesty.de/mitmachen/urgent-action/tunesien-unabhaengigkeit-der-justiz-gefahr-2022-09-19